Terror in Berlin: ISIS fordert weitere Anschläge auf Weihnachtsmärkte

Von: Björn Stritzel

Nach der Todesfahrt eines LKWs in Berlin mit derzeit zwölf Toten rufen deutschsprachige ISIS-Mitglieder zu weiteren derartigen Anschlägen auf Weihnachtsmärkten auf.

In einem privaten Kanal des Messenger-Dienstes Telegram propagieren die Terroristen seit längerem „Operationen“ nach dem Vorbild des Nizza-Attentäters.

Zwar sind die Aufrufe zu Anschlägen mit Autos keine Erfindung von ISIS, sondern spätestens seit 2010 durch den Al-Qaida-Ableger im Jemen öffentlich propagiert. Allerdings hat die beispiellose ISIS-Propaganda-Maschine Anschläge unter Verwendung von Autos als Waffen viel massiver beworben, als alle anderen dschihadistischen Gruppen zusammen:

Der im August durch einen US-Luftschlag getötete ISIS-Sprecher Abu Mohammed al-Adnani rief in seinen Ansprachen ebenso dazu auf, wie andere ISIS-Mitglieder und auch in verschiedenen Publikationen der Terrormiliz wurde der Anschlag mit Autos als eine Möglichkeit zum Terror beworben.

 Der deutschsprachige ISIS-Dschihadist, dessen Sprache von einer besonders primitiven Lust an der Gewalt zeugt, schrieb an die Mitglieder seines Kanals nur anderthalb Stunden nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt (Rechtschreibung und Zeichensetzung wie im Original):

„Wie bereits mehrmals verkündet: Diese Art von Anschlägen, kann der Feind niemals stoppen.. Du brauchst nichts mehr als ein Wagen, sei es LKW oder PKW.. und dann eine richtige Absicht und eine Kuffar Menge,, Bei Allah, diese Operationen lassen den Feind erschrocken und terrorisiert zurück.. Wer setzt also fort und rast in das Nächste Weihnachtsmarkt Lasst die Kuffar diesen Weihnachtsmarkt niemals vergessen o Löwen des Islams!“ 

In den vergangenen Monaten rief der deutschsprachige Terrorist immer wieder zu Anschlägen im Stile des Anschlags von Nizza auf, versprach dabei das Paradies (Jannah), wenn möglichst viele „Ungläubige“ (Kuffar) getötet würden: „Rase mit einem Auto in den Ansammlungen und Versammlungen der Kuffar rein! Steig ins Auto ein und steig erst in Jannah inschaALlah aus. Überfahre die Kuffar so lange bis du getötet wirst ganz einfache Methode, die in #Nizza wirkung gezeigt hat Der Bruder fur einfach in die Kuffar Menge und Allah gewährte ihm dir Gnade, dass er soviele von ihnen getötet hat.“

Der Laster rammte Marktzelte und -stände um

Der Laster rammte Marktzelte und -stände um

Foto: Peter Müller

Deutschen Mitgliedern der Terrorgruppe ist es ein besonders dringliches Anliegen, endlich auf einen „erfolgreichen“ Anschlag – und das heißt in der Logik der Terroristen mit Todesopfern – in Deutschland verweisen zu können, nachdem in Frankreich und Belgien bereits spektakuläre Terrorakte durch ISIS-Mitglieder verübt wurden. Entsprechend fühlen die deutschen ISIS-Mitglieder wohl einen gewissen Erwartungsdruck und rufen dementsprechend zur Tat auf: „Ein einziger Bruder hat mit nur ein Auto, dass er noch von den Kuffar gemietet hat über 90 dreckige Kuffar in Nizza getötet.. wann kommt endlich das deutsche Nizza?“

Um die letzten Tötungshemmungen zu nehmen, stuft der Dschihadist die Opfer zu Tieren herab: „Rase einfach mitten in die Hundemenge“.

Diese Dehumanisierung der „Ungläubigen“ ist für die Durchführung des Anschlags ausgesprochen wichtig und muss deshalb fortlaufend wiederholt werden, bis der Attentäter in seiner Ansicht gefestigt genug ist, um die Tat auch wirklich durchzuführen und nicht im letzten Moment von zivilisatorischen Regungen und Empathie in seiner Tötungsabsicht gehemmt wird.

Unter einer weißen Decke versteckt sich der inzwischen wieder freigelassene Pakistani in dem Polizei-Transporter

Unter einer weißen Decke versteckt sich der inzwischen wieder freigelassene Pakistani in dem Polizei-Transporter

Foto: Olaf Selchow

War es tatsächlich ISIS?

Bislang hat sich die Terrormiliz auf ihren offiziellen Kanälen nicht zum Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt bekannt. Eine auf irakischen Quellen basierende und in verschiedenen Medien wiedergegebene Meldung, wonach ISIS sich bekannt habe, wirkt ausgesprochen unglaubwürdig.

Die Bilder des Tatorts in Berlin und Beschreibungen des Vorfalls – ein LKW, der mit hoher Geschwindigkeit in eine Menschenmenge rast – wecken Assoziationen zum Anschlag von Nizza.

Am 14. Juli hatte dort der Terrorist Mohamed Bouhlel mit einem LKW 86 Menschen getötet. Bouhlel suchte sich als Ziel seines Anschlags die Feiern zum französischen Nationalfeiertag aus: Ein symbolträchtiges Datum, an dem die den Dschihadisten verhasste französische Republik sich selbstbewusst und fröhlich feiert.

Auch der Angriff auf einen Weihnachtsmarkt hat eine hohe Symbolwirkung: Nicht nur verunsichert es Menschen, die sich auf diesen vielfrequentierten Plätzen in geselliger Runde aufhalten und erfüllt damit den vorrangigen Zweck islamistischer Terroranschläge, nämlich „Schrecken in die Herzen der Ungläubigen zu pflanzen“, wie es im Jargon dschihadistischer Gruppen heißt.

Die Bezüge zum Christentum lassen den Weihnachtsmarkt in der Logik dschihadistischer Attentäter als besonders attraktives Anschlagsziel erscheinen, passt es doch in das ISIS-Narrativ vom „Kampf gegen die Kreuzzügler.“

Fraglich bleibt, warum der Verdächtige flüchtete:

►Ziel eines dschihadistischen Täters ist auch der eigene Tod, um das Märtyrertum zu erlangen. Während die Tat durchaus überlegt wirkt – treffende Wahl des mutmaßlich zuvor auskundschafteten Anschlagsziels und der verwendeten Waffe – ist das mangelnde Bekenntnis durchaus ungewöhnlich.

Denn das Ziel dschihadistischer Terroristen, möglichst viele Menschen zu ermorden, geht stets mit dem kommunizierten Anspruch einher, die Tat selbstlos im Auftrag einer höheren Ordnung zu verüben. Das bedeutet, dass es den Tätern ein großes Bedürfnis ist, dass ihre Motive auch publik werden.

Im Fall des Anschlags auf den Berliner Weihnachtsmarkt ist auffällig, dass es bislang keinerlei Augenzeugenberichte über den Ausruf „Allahu akbar!“ durch den Täter gibt. Üblicherweise rufen dschihadistische Täter dies nicht nur als Bekenntnis während der Tat, sondern auch als Schlachtruf, um sich selbst zu motivieren. Auch der Attentäter von Nizza rief während der Terrorattacke mehrfach diesen Ausspruch.

Auch ist bislang nicht bekannt, ob beim Tatverdächtigen oder im Lkw etwas gefunden wurde – etwa ein Bekennerschreiben oder die Flagge einer dschihadistischen Gruppe – was auf die Zugehörigkeit zu einer Terrororganisation hindeutet.

Für ISIS – oder andere Terror-Organisationen – ergibt sich daraus ein Problem:

Ein in ihren Augen verhältnismäßig erfolgreicher Anschlag, den sie bislang nicht für sich reklamieren können. Wenn der Täter festgenommen und nicht getötet würde, würde das die Lage für ISIS zusätzlich verkomplizieren: In der Regel bekennt sich die Terrorgruppe nur dann zu Anschlägen, wenn der Attentäter entweder tot oder in Sicherheit ist.

Sollte jedoch tatsächlich ISIS hinter den Toten auf dem Berliner Weihnachtsmarkt stecken, dürfte der propagandistische Wert eines in Deutschland verübten Anschlags mit 12 Toten vermutlich zu hoch sein, als dass ISIS Rücksicht auf den Attentäter nehmen könnte.

Dies wäre bislang aber nur dann glaubwürdig möglich, wenn sie mit dem oder den Tätern zuvor in Verbindung standen.

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